08/12
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von Sabine Kienzer
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Außergewöhnliches braucht Sensibilität
Reinhard Kannonier im Gespräch mit Franz Welser-Möst
Angst, verbunden mit einer Reihe von gesellschaftlichen Anliegen, ist ein uns nahezu alltäglich beherrschendes Thema – Dirigent Franz Welser-Möst und Kunstuni-Linz-Direktor Reinhard Kannonier haben Positionen inne, die sie immer wieder mit dem Thema Angst konfrontieren. In den 1980er-Jahren war Reinhard Kannonier Musikdirektor am Brucknerhaus Linz, als der junge Franz Welser-Möst dort seinen ersten Opernauftritt mit Richard Strauss’ Salome dirigierte.
Reinhard Kannonier: Hattest du Angst vor dieser Aufgabe als junger Dirigent mit so großen Namen wie Hildegard Behrens im Ensemble?
Franz Welser-Möst: Für jeden, der sich exponiert, und das tut man als reproduzierender Künstler vor einem Publikum, ist Angst ein gewisser Faktor. Dabei ist aber zwischen Angst und Lampenfieber zu unterscheiden – Angst hat mit dem zu tun, was man nicht kennt.
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Hildegard Behrens (1037) war eine deutsche Opernsängerin, die vor allem dramatische Sopranpartien in Wagner- und Richard-Strauss-Opern sang. Sie war international höchst erfolgreich und trat in den bedeutendsten Häusern der Welt auf. Behrens arbeitete mit Dirigenten wie Abbado, Bernstein Karajan, Metha und mit Regisseuren wie Schlöndorff und Zeffirelli. Hildegard Behrens starb mit 72 Jahren während einer Festival-Reise in Tokio.
RK: Und hier finden wir ja auch etwas Unbekanntes, vor allem zu Beginn einer Karriere, wo man nicht weiß, wie die Reaktion sein wird.
FWM: Das Publikum ist beim Dirigenten nicht das große Problem, das nimmt man kaum wahr. Das Schlimme sind Orchester, die man zum ersten Mal dirigiert. Bei meinem Debüt 1990 beim New York Philharmonic Orchester habe ich vor Aufregung fast die ganze Nacht vor der ersten Probe auf der Toilette zugebracht. Ich hatte gehört, wie schlimm dieses Orchester ist, dass sie Dirigenten bei lebendigem Leib fressen und dann wieder ausspucken. Mit echter Angst habe ich die Probe begonnen. Der Erste Hornist, er wog ungefähr 200 Kilo, hat mich dauernd fixiert, nie in die Noten gesehen und mich damit sehr irritiert. Die Irritation wuchs innerhalb von zweieinhalb Stunden. Das war milde gesagt sehr unangenehm. Als er am Ende auf mich zukam, habe ich um mein Leben gebangt. Er stellte sich vor mich hin und sagte: „You know young guy, I like what you are doing.“ Zuvor also war dieses Machtspiel nötig. Das ist übrigens immer so, wenn man mit einem Orchester zum ersten Mal zu tun hat und erst recht wenn man jung ist. Da wird getestet, ob Autorität und Persönlichkeit ausreichen.
RK: Zur Nacht vorher – warst du wegen des berühmten Orchesters aufgeregt oder hat das auch damit zu tun, dass du ein ziemlicher Perfektionist bist?
FWM: Da kommen wir auf einen ganz wesentlichen Aspekt zu sprechen, nämlich auf Versagensängste. Es zählt zum Schlimmsten, seinen eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Wenn in den Anfängen meines Dirigierens ein Akkord nicht perfekt intoniert war und ich nicht wusste, wo der Fehler lag, habe ich das sofort auf den eigenen Mangel bezogen. Die Folge war ein irrsinniger Schweißausbruch: das typische Zeichen für Angst und für Versagensängste.
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Für den Interpreten stellt sich ... zuallererst die Frage nach den Intentionen des Komponisten. Unter die Oberfläche des Kunstwerks führen ihn konsequente musikphilosophische Studien viel eher als die Beantwortung letztendlich doch recht äußerlicher Fragen wie jener nach der Größe der Orchesterbesetzung oder nach bestimmten Spielweisen, die natürlich wichtiger Teil des Gesamteindrucks sind. Der Interpret, der zum Kern der Sache vordringt, erkennt bald, dass sich stimmige, anrührende Aufführungen mit höchst unterschiedlichsten Mitteln erreichen lassen. Wir werden nie eine Aufführung der Matthäuspassion hören können, wie Bach sie wirklich wollte. (Aus: Kadenzen. Notizen, Gespräche und Vorträge des Dirigenten Welser-Möst. Redigiert von Presse-Musikkritiker Wilhelm Sinkovicz.)
RK: Die Angst vor dem Versagen ist in Österreich besonders ausgeprägt, weil es hier so etwas wie eine Kultur des Negativen gibt und keine des Scheiterns. Das beginnt bereits in der Schule, wo die Angst, etwas nicht zu können, vor die Freude, etwas zu können, gestellt wird. Hier herrscht eine Grundeinstellung aus „guten“ historischen Gründen, die es zu analysieren gälte. Vieles aber liegt an dem Kontext, aus dem man kommt, der Humus oder Sumpf heißt, wo man positiv wächst oder eher negativ versinkt.
FWM: Ich komme aus einer sehr gläubigen, katholischen Familie und erinnere mich gut an den Tod meiner Großmutter: Diese tiefgläubige Frau ging täglich, solange sie konnte, in die Kirche. Bevor sie starb, hat sie permanent den Teufel vor der Türe gesehen und ist aufgrund dieser wahnsinnigen Ängste einen qualvollen Tod gestorben. Ich habe mich bereits damals gefragt, wie jemand, der so gläubig und verwurzelt ist, solche Ängste haben kann. Erst später begriff ich, dass es mit Machterhalt, in dem Fall mit dem der katholischen Kirche, zu tun hat.
RK: Zurück zu deinem Job und zum Auftreten. Inwieweit spielen Routine und Gewohnheit beim Umgang mit Ängsten und Lampenfieber – da gibt es ja auch positiv Motivierendes – eine Rolle?
FWM: Kollegen von mir, vor allem Solisten, sind furchtbar von Lampenfieber, aber vor allem Angst gepackt und verlieren sie auch ihr Leben lang nicht. Ich habe mit einem Psychiater in New York gesprochen, der eine Methode für traumatisierte Soldaten im Sechstagekrieg in Israel entwickelt hat. Auch berühmten KünstlerInnen konnte er dabei helfen, diese Angst zu verlieren. Eine Art Gehirn-Manipulation wird in etwa so vollzogen: Man stellt sich eine Situation oder eine Person, mit der man negative Gefühle verbindet, vor und lässt dieses Bild explodieren, versucht es wiederherzustellen, lässt es wieder explodieren und macht das so lange, bis das Bild verschwunden ist. Damit schadet man niemandem, kann aber das dazugehörige Bild auslöschen. Er hat das wohl bei einigen meiner Künstler-KollegInnen erfolgreich umgesetzt. Es gibt aber auch nervöse Spannungen, die wir als Premierennervosität bezeichnen und die sich auch nie verliert. Ich habe 73 Premieren hinter mir und immer noch kann ich diese Spannung greifen.
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Anthony Burgess, Autor von A Clockwork Orange (1962) hat für selbigen Film die Ludovico-Methode erfunden, um Alex (Malcolm McDowell) von seiner Gewalttätigkeit zu heilen. Alex tritt bei seinen Sex- und Gewaltorgien auf wie ein Künstler, kostümiert und geschminkt, singend und tanzend – Gewalt als Ausdruck der künstlerischen Selbstinszenierung.
Als Alex wegen Mordes verurteilt wird, unterzieht er sich der Ludovico-Behandlung, um frei zu kommen: Er muss Gewaltfilme ansehen, bekommt ein Übelkeit und Schmerzen verursachendes Mittel verabreicht, das dazu führt, seine aggressiven Fantasien zu verhindern und ihn das Fürchten zu lehren.
Mittlerweile gibt es Untersuchungen in abgewandelter Form, die Theorie bald Praxis werden lassen könnten: Der Tübinger Psychologie-Professor Niels Bierbaumer will die Ludovico-Methode in abgewandelter Form verwirklichen.
RK: Das Gute ist, dass man im Publikum nichts davon bemerkt.
FWM: Wir reden von einem Beruf, bei dem viel geschauspielert wird. Der Regisseur Fritz Kortner hat einmal gesagt: „Ihr müsst nicht weinen, das Publikum muss weinen.“ Damit meinte er eine Spannung, die es herzustellen gilt und die das Publikum auch empfinden kann.
RK: Ich möchte noch einmal auf den Zusammenhang von Angst und Macht zurückkommen. Die Situation eines Dirigenten und eines Orchesters ist eine sehr spezielle, kaum vergleichbar in ihrer klaren Hierarchie: Es muss einen geben, der sagt, was geschieht, aber zugleich gibt es die Notwendigkeit der Gemeinsamkeit. Ohne lässt sich nicht wirklich etwas Außergewöhnliches und außergewöhnlich Positives im besten Fall für die ZuhörerInnen zustande bringen. Diese Situation angstfrei herzustellen ist sehr schwer vorstellbar.
FWM: In unserem Geschäft gibt es keine missverstandene Demokratie. Wer einen solchen Betrieb führt, muss mit allen Beteiligten sehr direkt und sehr unmittelbar arbeiten, kommunizieren und auf Gefühle hinarbeiten. Das ist sehr emotional und schwierig, aber letztendlich auch schöner. Ich stelle mir immer wieder die Frage, wie sehr Macht korrumpiert und wie viel Angst verbreitet wird, um sie zu erhalten. Man erwischt sich selbst ganz leicht dabei, wie, ohne dass man es merkt oder intellektuell will, Angst sich schnell verbreiten lässt. Je nachdem, wie man eine Mannschaft führt und welche Mittel dazu verwendet werden, zeigt sich, ob Angst ein legitimes Mittel ist oder nicht. Natürlich gibt es immer wieder Momente, wo mit reiner positiver Motivation wenig erreicht wird. Ist man geschätzt und respektiert, gelingt es, aber es gibt genügend Kollegen von mir, die Angst bewusst benützen, auch um ihr eigenes Unvermögen zu verdecken.
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Für Elias Canetti steht der Dirigent in seinem Hauptwerk Masse und Macht für Macht schlechthin: „Es gibt keinen anschaulicheren Ausdruck für Macht als die Tätigkeit des Dirigenten {...} Sein Blick, so intensiv wie möglich, erfasst das ganze Orchester. Jedes Mitglied fühlt sich von ihm gesehen {...} Die Stimmen der Instrumente sind die Meinungen und Überzeugungen, auf die er schärfstens achtet. Es ist allwissend, denn während die Musiker nur ihre Stimmen von sich liegen haben, hat er die vollständige Partitur im Kopf {...} es ist ihm genau bekannt, was jedem in jedem Augenblick erlaubt ist. Dass er auf alle zusammen achtet, gibt ihm das Ansehen der Allgegenwärtigkeit. Es ist sozusagen in jedermanns Kopf. Er weiß, was jeder machen soll, und er weiß auch, was jeder macht. Er, die lebende Sammlung der Gesetze, schaltet über beide Seiten der moralischen Welt. Er gibt an, was geschieht durch das Gebot seiner Hand, und verhindert, was nicht geschehen soll.
RK: Wir haben zwar unterschiedliche Jobs und an unserer Uni gibt es kein Orchester, das ein Stück spielt. An der Kunstuni Linz arbeiten 300 Lehrende, lauter SolistInnen, die ihr eigenes Stück spielen. Da herrscht bis zu einem gewissen Grad Autonomie und zugleich fordert die Universität als Institution eine bestimmte Balance genau in diesem Dazwischen. Da entsteht die Angst, in dieses Profil hineinzukommen, zu passen und mit- bzw. mitunter dagegenzureden, um dieses Profil zu schärfen.
FWM: Also der Karajan hat einmal einen psychologisch unglaublich cleveren Satz gesagt, als er gefragt wurde, warum Sänger so gerne mit ihm arbeiten: „Ich geb ihnen jede Freiheit, die sie brauchen, damit sie das tun, was ich will.“
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Die Prüfungsaktivität Studierender an österreichischen Universitäten hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Ein Professor betreut im Schnitt 121 bzw. ein Uni-Lehrer 21 StudentInnen. Das zeigt eine Auswertung im neuen Universitätsbericht 2014. ... An Österreichs Universitäten betreuen ein/e ProfessorIn im Schnitt 121 bzw. ein/e Uni-LehrerIn 21 StudentInnen. Die besten Betreuungsverhältnisse gibt es an den Kunstunis sowie den Medizinischen Universitäten und der Veterinärmedizinischen Universität: Diese haben aufgrund von Zugangsbeschränkungen einerseits weniger Studenten, andererseits sind die Studien dort im Regelfall grundsätzlich betreuungsintensiver. (Quelle: Uni-Bericht 2014)
RK: Der Satz ist berühmt, aber auch gefährlich. Das ist etwas, das in deinem Beruf unumgänglich ist, denn sonst kommt nix, das geht sonst nicht.
Buchtipps
Werner Metzig, Martin Schuster Prüfungsangst und Lampenfieber: Bewertungssituationen vorbereiten und meistern, 205 Seiten, Springer Verlag; ISBN-10: 3540663436
Ingo Metzmacher Keine Angst vor neuen Tönen: Eine Reise in die Welt der Musik, 192 Seiten, Rowohlt; ISBN-10: 3871344788
Sarah Quigley Der Dirigent, 398 Seiten, Aufbau Taschenbuchverlag; ISBN-10: 3746630215
Gunter Gebauer, Markus Edler (HG.) Sprachen der Emotion: Kultur, Kunst, Gesellschaft, 2014, 320 Seiten, Campus Verlag; Auflage: 1 (10. April; ISBN-10: 359339989X
VERWENDETES BILDMATERIAL
Cover: Foto und Arbeit von Verena Jung
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Galerie
(Absatz 2)
:
Fotos und Arbeiten von Vera Tolazzi Schattenspiele, Fotos und Arbeiten von Anna Miklavcic Angst wovor? ,
Galerie
(Absatz 4)
:
Fotos und Arbeiten von Barbara Oppelt Phobioskop , Autor: Foto von Michael Pöhn, Jürgen Grünwald, Stefan Kreiner
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ANMERKUNGEN UNSERER LESER_INNEN
Dirigent Franz Welser-Möst und Rektor Reinhard Kannonier standen während ihres Gesprächs im Linzer Brucknerhaus durch eine Vielzahl an Handykameras unter ständiger Beobachtung - als Sinnbild der ubiquitär verfügbaren Möglichkeit der Aufnahme und der Frage des Blickwinkels auf ein Thema.
Konzept: Tina Frank, Marianne Pührerfellner, Sabine Kienzer, Elisabeth Egger-Mann
Kamera: Felix Huber, Manuel Knoflach, Julia Singer, Anna Wäger, Fatemeh Naderi, Marianne Pührerfellner, David Lechner
Ton: Roya Assadian
Editing: Tina Frank
Interface Design: Tina Frank
Programmierung: Accordion Slider, adaptiert von Christoph Fink
Danke an:
Franz Welser-Möst und das Brucknerhaus Linz
"Visuelle Interpretation von Tina Frank, Christoph Fink
zum Text „Außergewöhnliches braucht Sensibilität“ von Sabine Kienzer"
ANMERKUNGEN UNSERER LESER_INNEN