07/12
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von Angela Koch
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Angst, Geschlecht
und die neue Weltangst im Film

Frauen, so heißt es im Allgemeinen, sind die besten Opfer. Das liegt nicht nur an dem weit verbreiteten Klischee, Frauen seien verletzlicher als Männer, oder an der geschlechtlichen Codierung, dass Angst weiblich ist, sondern vor allem an der Möglichkeit, das Weibliche als Allegorie einer imaginären Gemeinschaft einzusetzen.

Wir alle kennen Filme und Filmszenen, die zum Fürchten sind, Angst auslösen und uns Schrecken einjagen. Zu ihnen gehört nach wie vor der wunderbar unvermittelte Schnitt durch das Auge in dem Film Un Chien Andalou von Louis Buñuel, dazu gehört der Mord unter der Dusche in Alfred Hitchcocks Psycho und auch der Angriff auf die Catlady in A Clockwork Orange von Stanley Kubrick muss hier eingereiht werden. All diesen Szenen ist die Überschreitung von Körpergrenzen gemein – hier die Zerstörung des Auges, dort Messerstiche in den Körper, da sexuelle Gewalt und der Stoß mit einem Riesenpenis. Vor allem aber und schlussendlich sind bis auf wenige Ausnahmen Frauen die Betroffenen dieser Gewaltakte.
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Auszug aus dem Drehbuch: Un chien andalou von Luis Buñuel und Salvador Dali: „Ein Balkon in der Nacht. Ein Mann schärft sein Rasiermesser, betrachtet den Himmel durch die Scheiben und sieht ... eine schmale Wolke, die auf den Vollmond zutreibt. Dann: der Kopf eines jungen Mädchens mit weitgeöffneten Augen. Dem einen Auge nähert sich die Klinge des Rasiermessers. Jetzt zieht die schmale Wolke vor dem Mond vorbei. Die Klinge des Rasiermessers zerschneidet das Auge des jungen Mädchens.“ Bunuel und Dali hatten ihren Film absichtlich als Vehikel des Skandals angelegt, um den Geist der surrealistischen Revolution in die Filmkunst zu tragen. Provokationen und vieldeutige Symbolismen sollen das Vertrauen in die rationale Logik erschüttern. Zugleich versagte sich Bunuel mit seinem scharfen Blick auf die Realität auch jenen formalen Trickexperimenten, denen die Impressionisten und die Vertreter des abstrakten Films anhingen. (aus: U. Gregor/E. Patalas, Geschichte des Films 1895–1939, Bd. 1, Reinbek 1976, S. 75f.)

Die Kulturwissenschaftlerin Silke Wenk macht in ihrem Buch Versteinerte Weiblichkeit darauf aufmerksam, dass vor allem in der absolutistischen Ordnung die Allegorien der Nationen (Austria, Marianne), aber auch der Justiz oder der Universität (Alma Mater) weiblich sind, weil sie außerhalb der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konkurrenz verortet sind und daher auf eine imaginäre Einheit verweisen. Sie sind nicht Teil des Herrschaftssystems und keine Trägerinnen des Kollektivs. Diese Ordnung, so scheint es, hat sich bis in das gegenwärtige Repräsentationssystem des Kinos erhalten.

Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams beschreibt in ihrem Essay über den Filmkörper, dass die Darstellung von Exzessen am weiblichen Körper weniger als Beleg einer „monolithischen und unwandelbaren Misogynie abgetan werden“ kann, sondern vielmehr die Funktion hat, „kulturelle Probleme zu lösen“. Die beängstigende und furchteinflößende Viktimisierung und Verletzung von Frauen hat nach dieser Lesart die Funktion, Spannungen im Geschlechterverhältnis zu problematisieren und einer imaginären Lösung zuzuführen.
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Weibliche Allegorie
Allegorische Ideale finden sich vor allem in der Antike in weiblichen Darstellungen in der Denkmalskulptur und der Historienmalerei; heute in den Medien, in Karikatur und Werbung. So genannte weibliche Personifikationen sind auf Geldscheinen und Münzen zu finden und stehen für traditionelle Werte und technische Reformen. Als Statue steht die weibliche Allegorie für eine erhöhte und begehrte Weiblichkeit, nicht aber für eine wesentliche Stellung von Frauen, wohl weil Frauen sich außerhalb der ökonomischen und militärischen Konkurrenz befinden. (Nierhaus/Wenk 2005, 313)

Die Visualisierung von Angst als weibliche Emotion dient dazu, die männlichen Protagonisten als Akteure, Helden, Täter und Beschützer darzustellen, die frei von paralysierender und beklemmender Angst sind. Angst ist eine unmittelbare Emotion, die immer auch eine körperliche Reaktion, einen Affekt impliziert, sie löst entweder eine Fluchtbewegung aus oder ein Erstarren – und sie ist am Gesichtsausdruck ablesbar. Gerade dieser körperliche Aspekt der Angst ist wohl auch ein Grund, warum sie im Kino weniger bei Männern gezeigt wird: Sie verweist auf Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Kontrollverlust. Umgekehrt stehen rächende Frauen, die „final girls“, die „femmes fatales“, für die Verkörperung der männlichen Kastrationsangst, die Angst der Männer selbst aber ist nicht sichtbar. Ihre Furcht wird meist durch den Schmerz überdeckt, der auf den Schreck folgt (Baise-moi, I Spit On Your Grave) oder sie spiegelt sich im Gesicht einer Frau (Twentynine Palms).

Seit dem 19. Jahrhundert tritt angesichts der zunehmenden Abstraktion der Gefahren durch technologische Entwicklungen, der Freisetzung der Individuen und der mangelnden Absicherungsmöglichkeiten infolge von Säkularisierung und Liberalisierung eine Angst auf, die unbestimmt ist und existenziell, die nicht mehr durch Aktionismus bewältigbar ist: Aktionismus ist – ganz im Gegenteil – zumeist ein Kennzeichen von Überforderung und Mangel an Reflexion einer furchteinflößenden Situation gegenüber. Diese Welt- oder Daseinsangst trifft in besonderem Maße diejenigen, die bislang einen festen und vor allem gesicherten Platz in der sozialen Ordnung hatten: Männer, insbesondere Männer aus traditionell abgesicherten Verhältnissen. Dabei verwundert, dass diese so genannte Weltangst zwar im Film thematisiert, der Konnex von Männlichkeit und Angst in Mainstreamfilmen aber eher nicht ausformuliert wird. Das ist umso bemerkenswerter, als unsere Gesellschaft, die von diesen Ängsten getrieben wird, dabei stets aufs Neue auf die Angst vor dem Fremden verschoben wird, um als Antisemitismus, Homophobie, Sexismus und/oder Rassismus instrumentalisiert zu werden.
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In japanischen Horrorfilmen wimmelt es nahezu von weiblichen Fluch- und Rachegeistern. Was im amerikanischen Horrorfilm eher die Ausnahme denn die Regel ist, zeigt sich im japanischen Horrorfilm als Norm. Wütend und voller Kraft durchbohren hasserfüllte Blicke ihre Opfer, dass ihnen vor Schrecken das Herz stehen bleibt. Diese Art von Gewalt ist anders als männliche, die meist roh und physisch, blutig und primitiv dargestellt wird. Dennoch steht sie der männlichen Gewalt an Intensität und Schrecken in nichts nach, im Gegenteil ist sie sogar unheimlicher und bedrohlicher.

Der US-Film Deliverance stellt hier eine Ausnahme dar: Er gehört zu den wenigen Filmen, die nicht nur explizit sexuelle Mann-gegen-Mann-Gewalt zeigen, sondern obendrein auch das blanke Entsetzen angesichts drohender Gewalt visualisiert – die Filmtheoretikerin Carol J. Clover ordnet Deliverance dem so genannten „urbanoia horror“ zu. Der Film, der in einem entlegenen Landstrich im Mittleren Westen der USA spielt, weist meines Erachtens auch deutliche Merkmale der Rape-and-Revenge-Narration auf, die in einer Transformation männlicher Identitäten und Geschlechtspositionen mündet.
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Wes Cravens The Last House On The Left bildet 1972 den Startschuss für ein neues Film-Genre. Den Rape and Revenge Film. Die Story und Handlung ist sehr einfach gestrickt, generell sind es junge Frauen die von einem oder mehreren Menschen gequält, gefoltert und vergewaltigt werden. Die Opfer nehmen, soweit sie überlebt haben, grausame Rache an ihren Peinigern ... Die vielen Gewaltszenen sind oft sehr eindringlich und hart umgesetzt ... Nicht umsonst waren oder sind noch einige Filme des Genres beschlagnahmt, indiziert oder stark geschnitten, weil sie der Zensur doch zu sehr gewaltverherrlichend waren. (Christian Gertz, Mehrfilm)

In Deliverance unternehmen vier Städter über das Wochenende eine Kanufahrt in einer Flusslandschaft, die zugunsten eines Staudammbaus zerstört werden soll. Die Überheblichkeit der Städter gegenüber der als rückständig und verwahrlost inszenierten Landbevölkerung stößt schnell an ihre Grenzen. In zunehmendem Maße durch die Landbevölkerung verunsichert, wird die Kanufahrt zu einem Überlebenskampf der vier Männer. Bobby, ein Junggeselle und der unsportlichste der vier, sowie Ed, der liberale Familienvater, werden im ersten Teil des Films von zwei Landbewohnern überfallen. Bobby wird vergewaltigt; der gefesselte Ed muss wehrlos zusehen, zugleich droht auch ihm ein sexueller Übergriff. Panische Angst und die Scham der Zeugenschaft sind ihm dabei ins Gesicht geschrieben. Gezwungenermaßen paralysiert, weil auch tatsächlich gefesselt, wird ihm die orale Vergewaltigung durch das Gewehr eines der Landbewohner angedroht. Ehe Ed ebenfalls sexuell missbraucht werden kann, tötet Lewis, der vermeintliche Abenteurer und Held der Gruppe, den Angreifer. Von da an sind die Männer auf der Flucht vor den Landbewohnern. Der unscheinbare Drew ertrinkt, der Held Lewis verletzt sich schwer, sodass die beiden sexuell gedemütigten und überfallenen Männer Bobby und Ed einen Weg aus der Naturhölle finden müssen.
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Carol J. Clover lässt in ihrer Urbanoia-These zwei politische Konzepte aufeinanderprallen: Genderpolitik und urbane/ländliche Klassenpolitik. „Diese Filme zeigen gut situierte Charaktere aus dem städtischen Mittelstand, die von monströsen Mitgliedern einer ländlichen Unterschicht bedrängt werden und beschreiben die Konfrontation zwischen Arm und Reich, oder noch direkter zwischen Ausbeutern und ihren Opfern. Die Monstrosität der Rednecks (Hinterwäldler) aus der Unterschicht beweist, dass sie an ihrer Armut und der Maßlosigkeit ihrer Cousins selbst schuld sind.“ Der Redneck vieler moderner Horrorfilme ist eine rassifizierte Figur, eine aktualisierte Version des wilden Indianers aus den Narrativen des Western-Genres. Clover berücksichtigt in ihrer Analyse Gender, Klasse und rassistische Unterdrückung und legt ihren Fokus auf Sexualpolitik. Sie argumentiert, dass das in vielen Urbanoia-Filmen eingesetzte Narrativ eine ökonomische Geschichte ist, jedoch immer wieder als Geschlechtergeschichte erzählt wird, und direkt oder indirekt als eine Vergewaltigungsgeschichte. Die Landbewohner in den von ihr diskutierten Urbanoia-Filmen sind durch unverhältnismäßig viele erwachsene Männer vertreten, was die Gefahr von Vergewaltigung in den Filmen zu einer Konstante macht. (aus: Selling the Splat Pack von Mark Bernard)

Die Invasion der Städter und damit einhergehend der Zivilisation (Staudamm) in die unberührte Natur und die Reaktion der sexuellen Gewalttat sind Auslöser für einen Transformationsprozess, der zu einer Erschütterung der symbolischen Ordnung der amerikanischen Gesellschaft führt. Die sexuelle Gewalt wird abstrahiert von der Ebene des Geschlechterverhältnisses und verallgemeinert zu einer Zerstörungskraft, die sowohl der Natur (und ihren wilden Bewohnern) als auch der Zivilisation (und ihren kultivierten Bewohnern) innewohnt. Städter und Landbevölkerung gleichen sich an, Menschlichkeit, Moral, Gemeinwohl werden in diesem Zug begraben. An ihre Stelle treten Vergänglichkeit, Auto-/Aggression, Mangel, Kastrationsgefahr, Begierden, die zudem von individuellen, männlichen Protagonisten verkörpert werden. Die Angst vor unberechenbarer Gewalt, Statusverlust, Vergänglichkeit, Demütigung, Selbstverfehlung, Tod, Verletzung oder Ohnmacht werden in Deliverance mit einer vermännlichten Natur und dem Männerkörper in Verbindung gebracht – eine Flucht aus dem Desaster endet im Horror, denn am Ende des Films erhebt sich die mahnende Hand des ermordeten Vergewaltigers aus dem gestauten Fluss.

Schwingshandl: Home

Die metaphorische Verbindung von sexueller Mann-gegen-Mann-Gewalt und dem Raubbau an der Natur greift die Semantik der Penetration eines Kollektivs bzw. eines Organismus auf, wie sie im 19. Jahrhundert üblich war, und verkehrt sie. Weder das Kollektiv noch der natürliche Organismus sind idealisierbar und verallgemeinerbar, denn sie sind defizitär, deviant oder kaputt, gewalttätig und zerstörerisch, verlogen und hinterhältig. Ihre Idyllisierung bzw. Glorifizierung sowie die Universalisierung des jeweiligen Ordnungssystems werden in Deliverance zurückgewiesen, weibliche Allegorien, die auf eine imaginäre Ganzheitlichkeit verweisen, verworfen.

Angela Koch ist Professorin der Abteilung Medienkultur- und Kunsttheorien an der Kunstuniversität Linz.

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Angela Koch ist Professorin der Abteilung Medienkultur- und Kunsttheorien an der Kunstuniversität Linz. Sie habilitierte hier mit An den Grenzen der Sichtbarkeit. Zur medialen Darstellung sexueller Gewalt. Koch war Studienfachberaterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und Leiterin des DFG-Forschungsprojekts Ir/reversible. Bilder. Visualisierung und Medialisierung von sexueller Gewalt am Institut für Medienwissenschaft/Ruhr-Universität Bochum. Koch war Kuratorin der Ausstellung XENOPOLIS – Von der Faszination und Ausgrenzung des Fremden. Künstlerische Beiträge und historische Perspektiven in der Rathausgalerie München und Herausgeberin des Begleitbuchs zur Ausstellung.

VERWENDETES BILDMATERIAL

Cover: Foto und Arbeit von Aleksandra Mitic , Galerie (Absatz 4) : Fotos und Arbeiten von Natalie Paloma Maierhofer Pink , Video (Absatz 8): Schwingshandl: Home , Autor: Foto von Dominik Parzinger

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Der Visualisierung zum Thema Angst und Geschlecht liegen Konzepte des Textes von Angela Koch zugrunde: Die Gegensätzlichkeit von stereotypen Dichotomien wie männlich/weiblich, Stadt/Land oder jung/alt. Die Arbeit behandelt die daraus resultierende Kontroverse dieser Pole: Wie im Film "Deliverance" gezeigt, existieren die zwei Gegenpole anfangs unberührt voneinander, geraten aber durch ein Stören des Gleichgewichts in einen Konflikt, der beiden Seiten schadet. Diese Zerstörung, durch optische Glitches visualisiert, erinnert an Bildstörungen alter TV-Geräte. Sie lassen ursprüngliche Bilder und Vorstellungen von Gegensätzen nicht mehr erkennen.
Visuelle Interpretation von Hana Oprešnik, Sheny Illescas zum Text „Angst, Geschlecht und die neue Weltangst im Film“ von Angela Koch
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